Freiwillige Helfer verteilen in Floridsdorf kostenlos Tierfutter und Tierzubehör an bedürftige Tierbesitzer.
Von Christopher Erben
Hundegebell ist vereinzelt zu hören. Es riecht nach Tierfutter und frischem Kaffee. Ein Samstagvormittag in der Prager Straße in Floridsdorf. Geduldig wartet eine Menschenschlange im Freien neben einem Sozialmarkt. „Hier ist das Zubehör – und dort das Katzenfutter“, ruft Michael Ruttner, der den Tiersozialmarkt organisiert, und zeigt dabei auch auf den Stand mit dutzenden Maulkörben. Ob bei Schnee, Regen oder Hitze – bei jedem Wetter ist er mit seinem engagierten Team an freiwilligen Helfern von animalfriends.at im Einsatz und verteilt Tierfutter und -zubehör kostenlos an bedürftige Tierbesitzer – und das an jeden vierten Samstag im Monat.
Mehr als ein Ehrenamt
Der Ablauf ist fix geregelt: Zuerst müssen sich die Tierhalter beim ersten von mehreren Tischen unter dem Namen des Haustiers anmelden, wo schon einige mit ihren Vierbeinern geduldig warten. Jeder kommt hier an die Reihe. Gedrängt wird nicht. Nur einige Hunde schnuppern aufgeregt herum und ziehen an den Leinen ihrer Besitzer. „Stammkunden haben wir einige“, erzählt Michael Ruttner und schmunzelt: „Tiere wie Menschen.“ Bereits seit sechs Jahren organsiert der Unternehmer aus Klosterneuburg und dreifache Hundebesitzer gemeinsam mit seiner Ehefrau Renate und Ehrenamtlichen diesen Tierhilfsmarkt. Vor sechs Jahren startete er das Futterprojekt am Praterstern unterhalb einer Schnellbahnbrücke. Doch die Zahl der mittelosen und bedürftigen Tierhalter schnellte in letzter Zeit derart in die Höhe, dass sich Michael Ruttner nach einer neuen Bleibe umsehen musste. Diese fand er schließlich zwischen Floridsdorf und Strebersdorf auf dem Gelände eines Sozialmarkts.
„Ich hole nur Trockenfutter für meinen Lee, einem holländischen Schäferhund“, sagt Maria S. Jedes Mal kommt sie hierher. Nicht nur die Lebensmittelpreise – auch jene fürs Tierfutter sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Diese Teuerung mache der Mindestsicherungsbezieherin sehr zu schaffen. Mit dem Tierfutter, das sie von hier abholt, komme sie bis zum nächsten Monat gut aus, wie die 33-Jährige zugibt.
Neben ihr wartet ein weiterer Hundebesitzer, der Futter für seine Kira holt. Sie sei sehr lebendig und hält ihn auf Trab. „Nassfutter brauche ich am dringendsten“, so der Mariahilfer, dessen Pension gering sei und er jeden Euro derzeit zwei Mal umdrehen müsse.
Waren es vor Ausbruch der Pandemie noch 90, so sind es derzeit rund 150 Klientinnen und Klienten, die aber nicht nur Tierfutter, sondern auch Katzenstreu, Zubehör oder Leckerlis holen, erklärt Michael Ruttner, der Vorsitzender des Vereins animalfriends.at ist. Einen Teil der Tiernahrung stellen bekannte Konzerne ihm kostenlos zur Verfügung; ein weiterer Teil kommt hingegen von Spendern, die sie in eine Sammelbox eines Heimtiermarkts in Wien einwerfen. Auch kauft animalfriends.at monatlich zusätzliches Futter an, um den steigenden Bedarf danach zu decken. Weitere Abgabestellen sind auf der Homepage des Vereins ersichtlich. Gelagert wird all das in einer großen Halle. Michael Ruttner: „Es hilft uns sehr, wenn uns einige Helfer Futter- oder Sachspenden direkt zur Futterausgabe bringen“.
Therapeutische Wirkung
Für Maria S. ist ihr Hund ein Wohn- und Lebenspartner. Nein, ohne ihn könne sich ihr Leben heute nicht vorstellen; denn er sei davon ein wichtiger Teil und motiviere sie, wenn sie depressive Phasen durchlebe. „Er ist mein Begleiter“, sagt sie, mit dem sie sich gerne beschäftige. Auch vergesse sie beim Kuscheln mit ihm ihre Sorgen und Probleme.
„Ein erhöhtes Bedürfnis nach Zuneigung und Nähe haben vor allem Menschen, die Unterstützung brauchen“, weiß Helga Widder, Geschäftsführerin des Vereins Tiere als Therapie (TAT) in Wien, einem Verein, der die therapeutische Wirkung der Beziehung zwischen Mensch und Tier erforscht und fördert. Haustiere seien „treue und ideale Gefährten“, die in schwierigen Lebenssituationen oder Krisen wie etwa der Corona-Pandemie oder der Teuerung beiseite stehen. Egal ob arm oder reich, dick oder dünn, alt oder jung ist – Tiere werten nicht nach menschlichen Maßstäben. Für Alleinstehende sind sie nicht nur das vielleicht einzig verbliebene „Familienmitglied“, sondern ebenso ein Ansporn, die Lebensfreude nur ja nicht zu verlieren. Denn Haustiere regeln den Tagesablauf; müssen gefüttert und gepflegt werden, was die Aktivität der Betroffenen nachweislich erhöhe, ist Helga Widder vom TAT überzeugt. „Allein beim Streicheln eines warmen, weichen Felles schüttet unser Körper Wohlfühlhormone aus, die uns guttun.“
Hauszustellung
Nicht nur animalfriends.at – auch eine weitere Organisation greift Tierbesitzern unter die Arme. Der von Sonja Moldaschl gegründete Verein „Pfotenmarkt auf Rädern – Tiertafel für Haustiere“ ist ein mobiler Tiersozialmarkt. Während sich animalfriends.at auf die stationäre Versorgung konzentriert, setzt der Pfotenmarkt auf die Hauszustellung in Wien. Dafür hebt dieser einen geringen Unkostenbeitrag ein, der sich am jeweiligen Gewicht des Hundes oder der Katze orientiert. „Unser Hauptklientel sind Mindestpensionisten und in Not geratene Tierhalter, die durch eine körperliche Beeinträchtigung keine schweren Sachen mehr schleppen dürfen“, erklärt die frühere HR-Verantwortliche im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“. Wie animalfriends.at von Michael Ruttner ist auch der Pfotenmarkt auf Geld- und Sachspenden angewiesen. Beide Obleute kennen sich gut, und helfen sich vereinsübergreifend.
„Zu uns kommt fallweise auch eine Tierärztin, die Tierbesitzer berät und die Krallen von Hunden und Katzen schneidet“, erzählt Michael Ruttner, während er eine Packung hinter einem Tisch schlichtet.
Hungern fürs Haustier
Besonders Bedürftigen machen die Preissteigerung derzeit sehr zu schaffen, weiß Sonja Moldaschl vom Pfotenmarkt. Einige überlegen sogar, ihre Haustiere wegzugeben. Doch bevor sie sich zu diesem Schritt entschließen, hungern sie lieber für ihre Vierbeiner. Das versuche der Pfotenmarkt zu verhindern, indem er die Besitzer mit Tierfutter versorgt. „Unsere Klienten erhalten jedes Mal so viel Futter, dass sie damit zwei Monate auskommen“, erzählt die Obfrau des Vereins weiter. Mehr als 90 Haushalte werden aktuell von 14 Helfern in Wien versorgt. Obwohl die Anfragen seit Wochen steigen, können sie keine neuen Klienten mehr aufnehmen. Daher sei Moldaschl auf der Suche nach noch mehr Freiwilligen, was eine Herausforderung sei. Härtefälle könne sie aber weiterhin „einschieben“ – wie etwa eine neue Klientin, deren Wohnung unlängst abgebrannt ist. Sie und ihre Katzen standen auf einmal vor dem Nichts. „Wir haben ihr nicht nur mit Tierfutter geholfen, sondern auch Einrichtungsgegenstände für die neue Wohnung organisiert.“
Die Reihen lichten sich. Eine ukrainische Mutter mit ihrer erwachsenen Tochter Svetlana kommt noch vorbei und holt Tierfutter für den Kater Ada – „zum zweiten Mal“, wie beide erzählen. Im Mai sind sie von Mykolajiw nach Österreich geflohen, während ihr Bruder und ihr Vater in der Ukraine bleiben mussten, um in der Armee zu dienen. Der Vierbeiner erinnere alle an jene Zeit, als sie noch zusammen waren. Sie hofft, dass sie sich bald wiedersehen werden.
Es ist bereits 14 Uhr. Die letzten Tierbesitzer verlassen langsam das Gelände. Erschöpft verstaut Michael Ruttner die leeren Paletten und Kartons auf die Ladefläche seines Transporters. Viel war heute wieder los, resümiert der 59-Jährige abschließend und strahlt: „Ja, wenn es dem Tier gut geht, geht´s auch dem Besitzer gut. Keine Frage.“
Weiterführende Informationen:
„animalfriends.at“ www.animalfriends.at
„Pfotenmarkt auf Rädern – Tiertafel für Haustiere“ www.pfotenmarkt.org
„Tiere als Therapie (TAT)“ www.tierealstherapie.at